Alle Jahre wieder …
Der Jahreswechsel ist für viele Katzen (und darum oft auch für ihre Bezugspersonen) eine schlimme Zeit . Der Weihnachtsstress wirkt noch nach und plötzlich ist es schon wieder so weit: der Feuerwerksverkauf startet und Silvester steht vor der Tür.
Fast alle Katzen reagieren auf Böller und Feuerwerk mit Unwohlsein, ganz viele mit Angst und manche sogar mit Panik. Sind es im Dezember noch vereinzelte Knallgeräusche, steigert sich die Belastung spätestens dann, wenn der Feuerwerksverkauf nach den Feiertagen beginnt. Mit der Zunahme des Böllerns steigt auch der Stresspegel unserer Katzen. Reize, die im normalen Alltag noch gut aushaltbar sind (z. B. vereinzelte, laute Knallgeräusche), rufen spätestens in der Silvesternacht ggf. Panik oder andere „unvorhersehbare“ Reaktionen hervor. Alle Jahre wieder.
Seit einiger Zeit kann man immer mal lesen oder hören, dass Katzen nicht nur erziehbar sind, sondern dass es auch möglich ist, ihnen mit einem gut durchdachten Training und etwas sozialer Unterstützung durch solche schweren Zeiten hindurch zu helfen.
Hier soll es aber – ein wenig abseits des Trainingsthemas – darum gehen, ob es schadet oder nutzt, wenn deine Katze in solchen Angstsituationen Zuwendung durch dich als Bezugsperson bekommt, oder anders gefragt:
Verschlimmert Aufmerksamkeit durch dich die Angst deiner Katze?
Angst passiert einfach
Zunächst fehlt aber noch eine wichtige Information: Angst ist keine bewusste oder willentlich steuerbare Emotion – sie passiert einfach.
Angst ist auch erst einmal nichts Schlimmes. Sie ist sogar überlebensnotwendig und hat sich im Laufe der Evolution als sehr sinnvoll erwiesen, so dass (fast) jedes Lebewesen sie in die Wiege gelegt bekommt – ebenso wie verschiedene angeborene Angstauslöser. Das sind also Reize oder Ereignisse, die die Emotion Angst auslösen, egal ob es dazu eine Lerngeschichte gibt oder nicht. Dazu gehört unter anderem jeder Reiz, der plötzlich auftritt, laut und oder nah ist – so wie Knallgeräusche. Ein Knall löst also Angst aus, egal ob deine Katze jemals zuvor einen gehört und darauf reagiert hat oder nicht.
Das ist eine wichtige Information, die uns als Bezugspersonen hilft, das Verhalten, das eine Katze aufgrund von Angst zeigt, besser einzuordnen und damit konstruktiv umzugehen.
Stell Dir vor …
Kommen wir zurück zu der Frage, ob Aufmerksamkeit durch dich als Bezugsperson die Angst deiner Katze verschlimmern kann.
Ich möchte dazu ein kleines Gedankenexperiment vorschlagen: Stell dir vor, du hast Angst, z. B. vor Spinnen. Nun sitzt so eine dicke fette Spinne dicht neben dir. Du drehst den Kopf und nimmst die Spinne plötzlich wahr. Deine erste – unwillkürliche – Reaktion ist ein Schreck. Im nächsten Moment gehst du vielleicht ein paar Schritte zurück und rufst nach einer Person, die dir in dieser misslichen Lage helfen kann, indem sie z. B. das Spinnentier einfängt und hinausbringt. Diese Person erscheint, sieht die Spinne, fängt sie und bringt sie hinaus. Der Schreck sitzt noch in deinen Gliedern, es schüttelt dich vielleicht beim Gedanken daran, dass du längere Zeit so dicht neben dem Tier gesessen hast. Die Person nimmt dich in den Arm, sagt ein paar nette, beruhigende Worte, zeigt dadurch Verständnis, nimmt dich also ernst und sucht auch den Rest des Zimmers nach Spinnen ab.
In diesem Fall verschlimmert die Zuwendung und „Rettung“ deine Angst nicht, oder? Du fühlst dich stattdessen erleichtert, verstanden und ernst genommen. Anders wäre es, wenn die zu Hilfe gerufene Person deine (gefühlte) Not ignoriert hätte oder genervt und gereizt lautstark geantwortet hätte, dass du dich nicht so haben sollst, die Spinne hätte mehr Angst vor dir als du vor ihr. Dieses Ignorieren, Nicht-ernst-Nehmen und Alleinlassen mit dem für dich ernsten Problem „Spinne“ verbessert deine emotionale Situation nicht, im Gegenteil, sie wird vielleicht sogar verschlimmert, weil ein weiteres unangenehmes Gefühl hinzukommt, das Gefühl im Stich gelassen zu werden oder sogar ein Anraunzer.
Social Support ist Fürsorgeverhalten
Bei Katzen und Böllern ist es im Grunde nicht wesentlich anders. Das, was die helfende Person im Spinnen-Beispiel getan hat, nennen die Biologen im Tierreich „Social Support“. Es handelt sich dabei um Fürsorgeverhalten, das einem jeden Säugetier (und auch manchen anderen Tieren) genau wie die Emotion Angst mit in die Wiege gelegt wurde.
Wenn in einer schlimmen Situation etwas Angenehmes hinzu kommt, macht es die Situation in keinem Fall schlimmer! Kommt aber etwas hinzu, das sich unangenehm anfühlt, kann sich die Situation durchaus verschlimmern. Damit meine ich – besonders in Bezug auf Katzen und ängstigende Situationen – so etwas wie Zwangskuscheln, „unter dem Bett hervorholen“, etc.
Eine weitere Erklärung dafür, dass Fürsorgeverhalten die Emotion Angst nicht verschlimmert, bietet die hormonelle Ebene: Es ist rein hormonell nicht möglich, Angst durch (echten) Trost – also durch etwas Angenehmes – zu verschlimmern! Denn die Hormone, die bei Entspannung, Vertrautheit, (echtem) Trost oder Körperkontakt zu vertrauten Bezugspersonen ausgeschüttet werden, und die Prozesse, die im Körper dadurch angestoßen werden, sind Gegenspieler zu den Angst- und Stress-Hormonen und -prozessen.
Aber Achtung: Wenn Deine Katze unter dem Bett oder im Schrank Zuflucht gesucht hat, lass sie dort und zwinge sie zu nichts. Sei einfach in der Nähe, so signalisierst du ihr: Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst.
Luna z. B. genießt die Nähe zu ihren Bezugspersonen. Auch in unangenehmen Situationen hat sie gelernt, zu ihren Menschen zu kommen und sich Trost und Unterstützung abzuholen.
Was du lieber sein lässt
Ein hektisches Streicheln, hektisches Atmen oder unfreiwilliges Festgehalten werden vermittelt deiner Katze keine Sicherheit. In dem Fall würdest du die Situation für deine Katze leider durch den – gut gemeinten aber leider falsch ankommenden – „Trost“ schlimmer machen.
Bewältigungsstrategien erarbeiten
Wie jedes Jahr kommt der Jahreswechsel “ganz plötzlich”. In diesem Jahr ist kaum noch Zeit, um das eine oder andere Hilfsmittel einzuführen, aufzutrainieren und zu etablieren. Die meisten Hilfsmittel, die mit Bewältigungsstrategien und Lernerfahrungen arbeiten, benötigen etwas Zeit im Aufbau, um dann in der Nacht der Nächte wirksam eingesetzt werden zu können. Du kannst dabei an feste Rituale wie das Belohnungsspiel, eine Erregungskurve oder Futtersuchen, vielleicht an das rechtzeitige Auftrainieren eines Thundershirts oder einer Sicherheitszone denken, aber ggf. auch an Entspannungssignale und Entspannungsmusik (die aber leider in der Silvesternacht aufgrund der Dauer der Belastung oft nach kurzer Zeit nicht mehr gut genug wirken). Es gibt einige weitere Hilfsmittel und Trainingsstrategien, die deiner Katze helfen können, die Silvesternacht besser als in den Vorjahren zu überstehen. Eine Katzentrainerin deines Vertrauens hilft dir und deiner Katze gern weiter und beantwortet deine Fragen.
Fazit
Bitte tröste deine Katze, wenn sie es annehmen kann. Versüße ihr die Silvesternacht mit netten Worten, ihrem Lieblingsspielzeug, ihrem liebsten Leckerchen, deiner Gesellschaft, einer einfachen Clickereinheit und anderen etablierten Ritualen, die sie kennt und die ihr Sicherheit geben. Lass den Kleiderschrank offen, schaffe Platz unter dem Bett und stelle deiner Katze andere, sichere Rückzugsmöglichkeiten rechtzeitig zur Verfügung. Auch über eine angstlösende, unterstützende Medikation kannst du rechtzeitig mit deinem Tierarzt sprechen und sie ggf. vorher ausprobieren, damit du weißt, welche Dosis die richtige ist, um den gewünschten Effekt zu erzielen.
Und nicht vergessen: Nach Silvester ist vor Silvester. Ab dem 01.01. hast ein ganzes Jahr Zeit, um dich und deine Katze zielführend auf die Nacht der Nächte vorzubereiten. Melde dich gern bei mir, wenn du dir dabei Unterstützung wünschst!
Silvester mit Katze
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